Bedarfsgerecht eingliedern

Fähigkeit, Ausbildung, Engagement. Alles passt – und doch finden psychisch oder physisch beeinträchtigte Menschen oft nicht den Job, der zu ihren Bedürfnissen passt. Mit individuellen Angeboten unterstützt das bbw Betroffene darin, ihre beruflichen Chancen zu verbessern. 

Mit Selbstvertrauen zurück ins Arbeitsleben

Der Prozess beginnt oft schleichend. Über Monate und Jahre staut sich Stress an, zunehmend entfremden sich die Betroffenen von ihrem Arbeitsalltag. Sie können sich immer weniger konzentrieren, entwickeln Versagens- und Zukunftsängste, leiden unter Schlafstörungen. Bis eines Tages nichts mehr geht.


Burn-out ist nur eine von vielen psychischen Erkrankungen, die ein „Weiter wie bisher“ unmöglich machen. Die Unfähigkeit zur Berufsausübung kann multiple Ursachen haben. Fast immer führt sie aber in eine existenzielle Krise. Dann kann nur ein hoch spezialisiertes Versorgungsnetz den Erkrankten wieder auf die Beine helfen. 


Die Beruflichen Trainingszentren (BTZ) von bfz und FAW unterstützen Betroffene darin, sich psychisch zu stabilisieren und beruflich zu rehabilitieren. „In multiprofessionellen Teams entwickeln wir gemeinsam mit den Teilnehmenden neue Perspektiven für die (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Unser Ziel ist, die gesundheitliche Belastbarkeit aufzubauen und sie fachlich für eine geeignete Tätigkeit fit zu machen“, so Erih Novak, FAW-Bereichsleiter BTZ.


Während einer Orientierungsphase entwickeln die Teilnehmer*innen erste Ideen für ihre berufliche Zukunft. Wie viel Arbeitszeit können sie sich zutrauen, welche Tätigkeiten interessieren sie, wo können sie bestehende Kenntnisse gut einbringen? Diese Zeit ist wichtig, um das Selbstbild zu reflektieren, Ressourcen zu identifizieren und herauszufinden, worin die eigenen Stärken liegen. Vor allem aber geht es nun darum, persönliche Visionen für den zukünftigen Weg zu entwickeln und konkrete Ziele zu formulieren. 


Ob eine MS-Office-Schulung für eine kaufmännische Tätigkeit oder eine fachliche Vorbereitung für einen Einstieg in einen IT-Medien-Beruf – die Teilnehmer*innen werden in der Qualifizierungsphase je nach ihren beruflichen Neuausrichtungen trainiert und weitergebildet. Praktika bieten zudem die Chance, die beruflichen Vorstellungen zu erproben und das Fachwissen in einem Unternehmen anzuwenden. 


Genauso wichtig sind der Aufbau und die Festigung psychosozialer Kompetenzen. Hier helfen beispielsweise Stressbewältigungs- und soziales Kompetenztraining, um zukünftige Herausforderungen besser zu bewältigen. 


In der abschließenden Integrationsphase werden die Teilnehmer*innen auf ihre künftige Arbeit vorbereitet und aktiv bei der Jobsuche unterstützt. Mit Erfolg, wie Catharina Raubal, bfz-Produktmanagerin Reha, betont: „Rund 75 Prozent der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden können dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert werden.“

Kompetente und individuelle Betreuung der BTZ durch Psycholog*innen, Pädagog*innen, Ausbilder*innen, Berufstrainer*innen, Ergotherapeut*innen und Ärzt*innen

Hürden nehmen – Ausbildung sichern

Nicht nur berufstätige Erwachsene können aufgrund psychischer Erkrankungen ihre Erwerbsfähigkeit verlieren. Immer häufiger sind schon junge Menschen betroffen – den Übergang von der Schule in den Beruf können sie nicht selbstständig bewältigen.                                


Beim Einstieg in den Arbeitsmarkt helfen die BTZ-Angebote der FAW: Mit der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme erreichen sie beispielsweise ihre Ausbildungsreife. Damit haben sie die Möglichkeit, ihre Erstausbildung in einem Betrieb oder in den BTZ zu beginnen und dadurch einen anerkannten Berufsabschluss zu erlangen. Die Ausbildung in den BTZ bietet den Vorteil, dass hier die spezifischen Bedürfnisse der Azubis mit psychischen Erkrankungen besser berücksichtigt werden können. Zudem erhalten die Berufseinsteiger*innen bei ihrem Eintritt in den allgemeinen Ausbildungs- oder Arbeitsmarkt vielfältige Unterstützung. 

Info

1997 eröffnete das erste BTZ in Plauen. Heute betreiben die FAW sowie die bfz insgesamt 18 Trainingszentren. Fast 1.000 Plätze stehen hier Menschen mit psychischen Erkrankungen zur Verfügung, die mit den Leistungen der BTZ im Berufsleben Fuß fassen können.

Schlaglichter

Rückkehr in den Beruf

Passgenaue Lösungen für jeden Einzelfall – die FAW und bfz bieten seit vielen Jahren individuelles Reha-Management. Alle notwendigen Schritte werden auf die Teilnehmenden abgestimmt von der Diagnostik über die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung bis hin zur Integration in Arbeit. Damit richtet sich das Angebot zielgenau auf den einzelnen Menschen und die Anforderungen der Rehabilitationsträger aus. Über 20.000 Personen profitierten bisher von den individuellen Maßnahmen. 

Teilhabe

Die gfi bietet Menschen aller Altersgruppen flexible und bedarfsgerechte Unterstützung zur aktiven, selbstbestimmten Teilhabe an der Gesellschaft. Ein Schwerpunkt liegt in der Entwicklung von Betreuungsangeboten für Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von sozialer und beruflicher Ausgrenzung bedroht sind. Mit stationären und ambulanten Einrichtungen, Beratungsstellen sowie Projekten hilft die gfi Betroffenen, auf ihrem Weg im Arbeitsleben Fuß zu fassen.

Jobcoaching für Menschen mit Hörbehinderung

Was nutzt eine Sprache, die kaum jemand beherrscht? Rund 80.000 gehörlose Personen leben in Deutschland, doch wohl nicht mehr als 200.000 Menschen können sich in Gebärdensprache verständigen. Während in der Familie die Kommunikation irgendwann klappt, dominiert im Berufsumfeld oft das Schweigen. Viele Betroffene fühlen sich am Arbeitsplatz isoliert.


Eine Erfahrung, die auch mehr als 3,7 Millionen Personen mit schweren Hörbehinderungen in Deutschland machen – sofern sie überhaupt einen Job finden. 

Die individuelle Begleitung der Menschen mit Hörbehinderung findet an FAW-Standorten in Chemnitz, Bielefeld, Kiel und Dortmund statt.

Mit dem Individuellen Integrationsmanagement (IIM) für Menschen mit Hörbehinderung bietet die FAW die Möglichkeit, durch ein individuelles Coaching die Chancen auf einen Arbeitsplatz zu verbessern. Die Erfolgsaussichten sind gut: 75 Prozent der Teilnehmer*innen finden im Anschluss eine Stelle. „Die Unterstützungsmodule des IIM sind dabei genau auf die persönliche Situation zugeschnitten: Wird der Hörschaden mit technischen Hilfsmitteln korrigiert, ist die Taubheit im Verlauf des Lebens eingetreten oder besteht sie von Geburt an?“, berichtet Nadine Bauer, FAW-Bereichsleiterin Reha.


Der gebürtige Tunesier Kerim K. beispielsweise hört fast nichts. Als Muttersprache lernte er in seiner Heimat arabische Gebärden. Seit 2020 wird der junge Mann vom Integrationsteam des IIM unterstützt. Damit Verständigung überhaupt möglich war, musste er zuerst einmal grundlegende Deutschkenntnisse erwerben. Parallel dazu nahm er an Kursen in deutscher Gebärdensprache teil und erweiterte sein Allgemeinwissen. Damit war der Grundsein gelegt, um Kerim K. gezielt auf die Arbeitswelt vorzubereiten. 


Im Rahmen betrieblicher Praktika schnupperte er zuerst in die Berufswelt der Gastronomie. Weit mehr lag ihm aber sein zweiter beruflicher Testlauf in der Lagerlogistik. Vermittelt durch das IIM konnte der hoch motivierte Berufseinsteiger im Anschluss bei einem großen Warenhaus in Chemnitz seine Fähigkeiten vertiefen und erhielt schließlich eine Einstellungszusage. 


Die notwendigen Voraussetzungen schuf die FAW: Sie koordinierte die Abstimmung mit Integrationsamt und Arbeitsagentur sowie ein berufsvorbereitendes Coaching. „Zu guter Letzt musste aus Sicherheitsgründen eine optische Signalanlage in den Hallen des Arbeitgebers installiert werden. Diese dient zum Schutz von Kerim K., die ihn sofort über einen Alarm informiert. Auch bei dieser technischen Lösung unterstützen unsere Expertinnen und Experten“, so Nadine Bauer.

Coaching­module

PIKASS – Berufscoaching
für Menschen mit Autismus

PIKASS steht für Perspektive. Integration. Kooperation. für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Aktuell wird das Projekt an Standorten in Bamberg, Bayreuth, Coburg, Hof und Marktredwitz angeboten.

Sie haben oft einen guten Schulabschluss und sind intellektuell hoch leistungsfähig. Dennoch sind nur zwölf Prozent aller Personen mit einer hochfunktionalen Autismus-Spektrum-Störung (ASS) im ersten Arbeitsmarkt integriert. Grund dafür ist meist die besondere Art und Weise ihrer sozialen Interaktion. Ihre Umwelt scheint unkontrollierbar, Umgebungsreize können sie kaum ausblenden. Gestik und Mimik ihres Gegenübers lesen und interpretieren sie häufig nicht richtig. Missverständnisse gehören daher zum Alltag autistischer Menschen.


Die Folge: Im Job wird jedes Gespräch zur Herausforderung, konzentriertes Arbeiten im Beisein anderer ist teilweise nur eingeschränkt möglich. Weil aber immer mehr Tätigkeiten auch im Homeoffice ausgeübt werden können, eröffnen sich Personen mit ASS neue berufliche Perspektiven. Die gewohnte Umgebung zu Hause ermöglicht, ruhiger und konzentrierter zu arbeiten. Auch die Kommunikation mit Kolleg*innen und Kund*innen ist dank E-Mail, Telefon- und Videokonferenzen leichter planbar und weniger intensiv.


Die gfi nutzt diesen Trend zur Digitalisierung der Arbeitsplätze und schafft mit dem Projekt PIKASS die Voraussetzungen, dass Menschen mit Autismus leichter im Arbeitsleben Fuß fassen. „Wenn wir neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufnehmen, analysieren wir zunächst gemeinsam ihre Stärken und Fähigkeiten“, betont Claudia Heiß, PIKASS-Casemanagerin bei der gfi in Bayreuth. 


Damit die Integration am Arbeitsmarkt klappt, begleitet PIKASS die betroffenen Personen mit einem individuellen Berufscoaching, akquiriert zielgerichtet Praktika und dann einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle. Betriebe werden von Anfang an in den Prozess eingebunden, um die Arbeitsplätze auf die Bedürfnisse auszurichten. Nur so kann eine dauerhafte Erwerbstätigkeit gesichert werden.


Das Coaching und die Qualifizierung erfolgen über drei Kanäle: online, vor Ort an den gfi-Standorten und persönlich in der häuslichen Umgebung. Das erleichtert den Personen mit ASS nicht nur den Zugang zu diesem Angebot, sondern schult sie bereits in den Kommunikationsformen ihrer künftigen Arbeitsstelle. Auch digitale Bewerbungsunterlagen werden gemeinsam erstellt und Vorstellungsgespräche trainiert.


Außerdem haben die Teilnehmer*innen ihre eigene digitale Plattform: den sogenannten „Skyroom“. Hier können sie gegenseitig ihre Erfahrungen austauschen. Angehörige wiederum erfahren etwas über den Arbeitsmarkt. Zutritt haben aber auch Arbeitgeber, die dort eine Informationsbörse finden und online beraten werden.


Corona hat den Zugang zur Arbeit im Homeoffice normalisiert. Damit wächst auch in Unternehmen das Interesse an einer Beschäftigung autistischer Menschen. Denn gut ausgebildete Fachkräfte mit digitalen Kompetenzen sind in nahezu jeder Branche gefragt.

Angebote für Menschen mit ASS

Finanzierung

Finanziell wird das Projekt vom Arbeitsmarktfonds und der Adalbert-Raps-Stiftung unterstützt. Geschäftsleiterin Yola Klingel überzeugt vor allem der ganzheitliche Ansatz:

„Unsere Fördertätigkeit verfolgt das Ziel, nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. Mit PIKASS unterstützen wir ein Projekt, das diese Mission teilt: Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung werden in ihren individuellen Stärken gefördert und als wertvoller Teil der Gesellschaft betrachtet. Somit gelingt neben ihrer beruflichen Integration auch die soziale Inklusion.“

Yola Klingel

05

erwachsene –
Teilhabe